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Tauchabenteuer Norwegen

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Der folgende Text ist entnommen dem Tauchreiseführer Schweden und Norwegen bzw. dem Band Tauchen im Norden. Um Ihnen das Lesen zu erleichtern, hier die Links zu den einzelnen Abschnitten:

Erste Eindrücke  -  Seemannshände  -  Vika  -  Bergen  -  Aquarium  -  Jostedalsbreen  -  Maløy und Vemmålsvik  -  Biskeyfjellnaise  -  Fjorde  -  Stachelhäuter  -  Krebse  -  Abschied
 

Viele Wege führen nach Norwegen. Ich entscheide mich für eine Direktverbindung, fahre via Autobahn Berlin - Hamburg nach Kiel und drängele mich am Oslokai in die Schlange wartender Passagiere. Rund 20 Std. später und etwa 650 km weiter nördlich erreicht die Kronprinz Harald Oslo. Ich verlasse den Fährhafen, befinde mich plötzlich auf einer der wichtigsten Hauptverkehrsstraßen Oslos und sause unverzüglich in Richtung Farsund, einem Ort ganz im Süden Norwegens.     nach unten  nach oben
 

Erste Eindrücke

Auf Übersichtskarten sehen die bis zu 204 km langen Fjorde wie recht schlichte Einschnitte in das Festland aus. Ach ja, denke ich, eine wunderschöne Landschaft mit vielen Seen. Ein Messtischblatt, das ich mir später besorge, ergibt ein ganz anderes Bild: die vermeintliche Festlandsmasse ist ein Gewirr zerklüfteter Halb-, Fast- und richtiger Inseln. Die vermeintlichen Seen sind oft die unzähligen Buchten und sonstigen Ausläufer des Meeres. Jeder große Fjord spaltet sich auf  in viele kleinere Fjorde, die wiederum in Dutzende von Seitenarmen zerfallen.

In der Nähe Farsunds finde ich zunächst mit Hilfe und bei Tauchfreunden aus Flensburg und Dinslaken Unterkunft in einer schönen Ferienhütte und Anfang Juni ist es endlich so weit: Wir fahren mit einem Motorschlauchboot durch den Spindfjord hinaus zu einem Tauchgebiet in der Nähe des offenen Meeres, dem Skagerrak. Ich bin noch nie in diesem Seegebiet getaucht und dementsprechend aufgeregt. Was wird mich erwarten? Wir verabreden, wer mit wem taucht und welcher Kurs geschwommen werden soll. Wir lassen uns rücklings von der Schlauchbootwulst ins Wasser fallen. Huua . . . ! Es ist nicht Schönheit, die mir trotz des Trockentauchanzugs Urlaute entlockt, sondern die Wassertemperatur von 5 oder 6 °C. Ich habe damit gerechnet, doch wissen und am eigenem Leibe erfahren, das sind zwei ganz verschiedene Dinge.

Die Unterwasserszenerie enttäuscht: Klares grünlich schimmerndes Wasser. Sichtweiten um 10 m. Ein kahler Sandgrund. Eine einsame Haarqualle. Grün- und Braunalgen. Hier und da ein Leierfisch oder Plattfisch und einige wirbellose Tiere. Auf den ersten Blick: wie die Ostsee in ihren einst besseren Tagen! Aber Taucherfahrungen aus dem Mittelmeer machen mich misstrauisch gegenüber zu raschem Urteil. Abwarten, denke ich, das wird doch nicht alles sein?

Auf dem Grund in etwa 20 m Tiefe entdecke ich eine Große Kammmuschel. Sie ähnelt der im Mittelmeer lebenden Pilger- oder Jacobsmuschel. Beide bis etwa 15 cm groß werdenden Tiere gehören zu den weltweit mit mehreren Hundert Arten verbreiteten Pectinidae, den Kammmuscheln. Vielen Autofahrern müsste ihre Silhouette vertraut sein - das Logo des Shell-Konzerns. Normalerweise liegen Kammmuscheln mit der bauchigen rechten Schalenhälfte im Sand vergraben. Eine dünne Schicht Bodenmaterial bedeckt die fast plane linke bzw. obere Schale. Nur eine halbkreisförmige zentimeterbreite Spalte zum Einstrudeln des Atemwassers verrät ihre Anwesenheit. Aus dieser Spalte schieben sich zwei Reihen nach allen Seiten tastender Tentakel. Dazwischen leuchten viele kleine, himmelblaue und mit Linse und Netzhaut ausgestattete Augen. Nähert sich etwas den Muscheln, so richten sie die Tentakel auf das Fremde, um mit ihren chemischen Sinnen Freund oder Feind zu unterscheiden. Doch wozu Sinnesorgane, wenn die Besitzer deren Informationen nicht in Aktionen verwandeln können? Die meisten Kammmuscheln können! Sie schwimmen durch heftiges Zusammenschlagen der Schalen. Nach etwa einem Dutzend Schwimmstößen fallen die Muscheln ermüdet zurück auf den Grund, nun hoffentlich aber aus der Reichweite ihrer Feinde. Schwimmer dürfen nicht zu schwer sein. Deshalb haben die Kammmuscheln im Verhältnis zu ihren Abmessungen relativ dünne Schalen. Die Festigkeit von Blechen lässt sich durch Wellen verstärken, wie bekannt am Beispiel des Wellbleches. Die schönen symmetrischen Querrippen der Muschelschalen erfüllen den gleichen Zweck: hohe Festigkeit bei geringer Masse.

Wir streifen 42 min lang bis zu einer Tiefe von 27 m durch das karge Areal, also bis die Atemluft alle ist und sämtliche echten und falschen Zähne klappern.     nach unten  nach oben

 

Seemannshände

Doch bereits der Nachmittagstauchgang verrät etwas von der Verschiedenartigkeit möglicher Tauchgebiete und Erlebnisse. Wir brausen hinaus zum sogenannten „Garten Eden“, einer Untiefe von 23 m am Ausgang des Spindfjords. Es wird eine der schönsten Unterwasserexkursionen der ganzen Reise.  Die Blumen in diesem Garten sind Blumentiere, ungefähr 20 bis 30 cm hohe Weichkorallenkolonien namens Alcyonium digitatum. Ihre Färbung ist variabel: weiß, gelb, orange und rosa. Die einzelnen Stöcke ähneln in ihren Umrissen einer Hand. Daraus resultiert der deutsche Trivialname „Seemannshand“. Wir tauchen über Laminarienbüschen hinab in eine breite flache Senke. Die ersten Seemannshände ragen empor. Die Kolonien werden häufiger, dichter, bis sie große blühende Gruppen bilden. Die unzähligen weißen Blüten sind die etwa bis zu einen Zentimeter langen Polypen dieser Blumentierkolonie. Bei Störungen ziehen sie sich in das Stockinnere zurück.     nach unten  nach oben

 

Vika

Hinter sieben Hügeln und sieben engen Straßen liegt Vika, eine Ortschaft mit einem halben Dutzend schöner Holzhäuser und ebenso vielen Bootsschuppen. Hier lebt das Lehrerehepaar Per und Kirsten mit ihren Kindern Bernt-Erik und Gro-Benedikte. Per und Kirsten stellen mir ihr ehemaliges Wohngebäude zur Verfügung. Es ist ein romantisch im Gelände liegendes Holzhaus mit fünf Zimmern, Küche und Blick auf das Meer. Per vermietet das Haus in der Saison an Feriengäste.

Ich quartiere mich für eine Woche in ihr ehemaliges Wohngebäude ein und schaffe nur das Allernotwendigste ins Haus. Aber das Allernotwendigste führt anscheinend ein Eigenleben. Die Sachen erobern Zimmer um Zimmer, breiten sich aus, wachsen zu erstaunlichen Dimensionen: Taucherausrüstung, Bücher, Fotozubehör, Konservenbüchsen, Ersatzteile. Die ursprünglich fast am Anschlag liegenden Autofedern atmen auf, während ich mich wundere, wo das alles herkommt und mich immer bänglicher frage, ob auch alles wieder hineinpasst . . .

Von Vika aus starte ich - reichlich mit Tipps ausgestattet - jeden Tag zu Schnorcheltouren in den vielen Buchten und Meeresarmen in den Raum um Farsund. Ich sehe mir im Umkreis von etwa 20 km die verschiedenen Einstiegsmöglichkeiten an, betrachte grämlich Felsen und Brandungen, bedenke Sicherheitsmaßnahmen und mögliche Zwischenfälle und entscheide mich schließlich für Havika. Ein felsblockübersätes Inselchen schirmt die Bucht gegenüber der offenen See ab. In der kaum mehr als zwei m tiefen Lagune befindet sich stets ruhiges Wasser. Sportboote träumen vor sich hin. Möwen kreischen und der Wind pfeift eines seiner monotonen Lieder. Ich zwänge mich in den Tauchanzug und wate unter Umgebung wogender Sägetangfelder ins Wasser.

Ich schnorchele zum Ausgang der Lagune. Seestichlinge betrachten mich gelassen aus grünem Pflanzengewirr. Einsiedlerkrebse bereiten sich zum Rückzug in ihr Gehäuse vor. Eine Flunder gibt Flossengeld. Den hinausführenden Kanal füllt ein fast bis an die Oberfläche reichendes Pflanzendickicht aus Grün- und Braunalgen. Ich robbe und flössele mit eingezogenem Bauch über das Gestrüpp und erreiche das offene Meer. Ich verharre wie gebannt vor dem sich bietenden Ausblick. Vor mir erstreckt sich ein schier endloses sanft abfallendes Laminarienfeld wie ein ungeheurer mit goldbraunen Wellen deutlich gemusterter Teppich. Das endlos endet hier freilich an der Sichtgrenze, also in etwa 15 m Entfernung. Ich stecke den Atemregler in den Mund, lasse die Luft aus dem Tauchanzug entweichen und tauche ab.

Laminarien sind Braunalgen. Sie wachsen vor allem dort, wo sich Felsgründe nur langsam in die Tiefe senken. Die verbreitetsten Arten werden 3 bis 4 m lang und besiedeln Tiefen bis 25 m. Eine Laminarie besitzt oft einen mehr als fingerdicken Stiel, der in einer auch als Wedel bezeichneten Blattspreite endet. Der Stiel haftet mit kurzen hakenförmigen Gebilden auf festen Untergründen. Die Alge erneuert den Pflanzenkörper durch Wachstum des Wedels in der Nähe des Stieles. Im Frühjahr lösen sich Teile der alten Wedel. Nebenbei bemerkt: Die meisten Wasserpflanzen sind Algen. Blütenpflanzen, wie etwa die Seegräser, bilden eher die Ausnahme; und die derberen Großalgen werden als Tange bezeichnet.

Ich bahne mir einen Weg durch die goldbraune Masse der Wedel und sehe nun erst den Meeresgrund. Stiel neben Stiel reiht sich zu einem meterhohen Wald mit schützendem Blätterdach. Dieser von dem freien Wasser abgegrenzte Lebensraum ist eine kleine stille Welt für sich mit allerlei Algen und Tieren wie Moostierchenkolonien, Stachelhäutern und Seescheiden. Besonders die Seescheiden haben es mir angetan. Sie sind besondere Lieblinge der Unterwasserfotografen, denn sie sind nicht nur oft wunderschön, sondern sie halten beim Fotografieren auch immer so schön still.

An der Bucht von Skarvøy standen bereits im 16. Jh. einige Wohnhäuser. Entsprechend den nicht nur damals üblichen Sitten flogen Abfälle und unbrauchbarer Hausrat in die See. Zu jenen Resten gesellte sich vor 200 Jahren noch ein Lastschiff mit einem Holztransport. Der Erforschung dieser Bucht widmen sich ein halbes Dutzend Sporttaucher aus Farsund. Ich besuche sie in dem feuersicher gebauten Lister-Museum, ihrer momentanen Wirkungsstätte. Hier präparieren sie die Funde: Flaschen, Töpfe, Tonscherben, Pfeifenköpfe und so weiter. Die Bucht von Skarvøy ist in 5x5 m große Planquadrate eingeteilt. In jedem Winter untersuchen die Taucher ein- oder auch zwei Planquadrate. Alle Funde werden geborgen, gekennzeichnet und konserviert. Das Unternehmen erfolgt mit Genehmigung und Unterstützung des Osloer Schifffahrtsmuseums.

Ich bekomme auch Gelegenheit, über dem in 7 m Tiefe liegenden Wrack zu tauchen. Aber die Zeit und die Herbststürme haben fast alles Schiffsähnliche dem Seeboden gleichgemacht. Das Interessanteste ist - wenigstens für mich - ein halbmetergroßer Lippfisch, der hier sein Revier hat und von dem ich unbedingt ein Bild haben möchte. Der Lippfisch aber, der will nicht so recht! Na ja, ein Tor, der überall nur Zustimmung erhofft . . .

Mitte Juni verstaue ich meine sämtlichen siebenhundert Sachen, bedanke mich herzlichst bei all den hilfsbereiten Menschen, besonders bei den gastfreundlichen Pedersens und reise weiter: erst nach Norden und dann in Richtung Westen an die Atlantikküste. Die Farsunder Sporttaucher meinten: Je nördlicher, desto interessanter sei die Unterwasserwelt!     nach unten  nach oben

 

Bergen

Zu meinem Reiseprogramm gehört auch ein Abstecher nach Bergen, der zweitwichtigsten Stadt Norwegens. Als Olav der Friedfertige im Jahre 1070 Bergen gründete, befand sich an diesem Ort bereits ein Marktflecken. Durch seine zahlreichen Handelsverbindungen wuchs Bergen rasch zur reichsten Stadt des Landes. Um 1350 errichtete die Hanse im Bryggen-Viertel ihre ersten Kontore und Versammlungsräume. Sieben Berge und das Meer begrenzen die Stadt, die ursprünglich nur aus dicht aneinander gebauten Holzhäusern bestand. In fast regelmäßigen Zeitabständen verwandelten Feuersbrünste, die letzte 1955, große Teile in Schutt und Asche. Deshalb wurde bereits Ende vorigen Jahrhunderts beschlossen, die Zentrumsbebauung in Stein und mit breiten Straßen als feuerhemmende Schneisen auszuführen.

Unter den vielen Sehenswürdigkeiten Bergens habe ich den Besuch der Marienkirche, des Bryggens, des Fischmarkts und des Aquariums ausgewählt. Die romanische Marienkirche stammt aus der ersten Hälfte des 12. Jh. Mit ihren beiden wuchtigen Türmen und dem überaus reichen Interieur gilt sie als eines der interessantesten sakralen Bauwerke Norwegens und ihre Kanzel als die bedeutendste norwegische Barockarbeit.

Ungefähr 200 m weiter beginnt ein Bryggen genannter Kai. Ihn säumen bunte, dicht aneinander gereihte Häuser, manche noch aus der Hansezeit. Von hier aus beherrschten einst die norddeutschen Kaufleute den Import von Fisch und Salz und die Ausfuhr von Fischprodukten.

Wo der Bryggen und das Hafenbecken endet, beginnt der Torget, der Fischmarkt. Fisch gibt es hier immer, wenigstens bis 15 Uhr, an schönen Tagen aber auch Blumen, Obst, Gemüse, Schmuck, verschiedene Handarbeiten und Touristen aus aller Welt. Es heißt, der Torget sei der meist fotografierte Platz Norwegens. Auch ich bemühe mich natürlich aus Leibeskräften zur Stützung dieser Legende. Norwegen hat etliche Plätze, von denen Ähnliches behauptet wird. Vom Fischmarkt schlendere ich dann in Richtung des Endes der Halbinsel Nordernes. Hier befindet sich das 1965 fertiggestellte     nach unten  nach oben

 

Aquarium

und das norwegische Institut für Meeresfischerei. Mit seinen Anlagen für Pinguine und Seehunde und rund 50 Becken im Untergeschoss ist es eines der modernsten Aquarien Europas. In diesen Becken leben viele Vertreter der Fauna norwegischer Küsten, also für mich ein praxisnaher Anschauungsunterricht.

Am herrlichsten, finde ich, sieht das Becken mit seine Blumentieren aus, vor allem den Seeanemonen wie den Seenelken. Die bis zu 15 cm großen Seenelken leben in den nordöstlichen Meeren des Atlantiks. Bei ihrer ungeschlechtlichen Vermehrung entstehen an den Seiten der Fußscheibe rundliche Ausstülpungen. Sie lösen sich ab und wachsen zu kleinen Seenelken heran. Eine andere in der Nordsee und der Norwegischen See lebende Seeanemone ist die bis 9 cm große Schmarotzerrose. Sie wächst gewöhnlich auf einem gewundenen Schneckengehäuse, das ein Einsiedlerkrebs in Besitz genommen hat: das gewiss uns aus der Penne noch bekannte klassische Beispiel für die Symbiose. Die Anemone schützt den Krebs und dieser wiederum erleichtert der Seeanemone den Nahrungserwerb durch seine Mobilität. Seeanemonen können sich mit ihrer muskulösen Fußscheibe fortbewegen, allerdings mit einer Geschwindigkeit, gegen die eine Schnecke wie ein Rennpferd anmutet. Die Beute, kleine tierische Organismen - fangen Seeanemonen mit ihren nesselkapselbewehrten Tentakeln und stopfen sie in das Mundloch. In den Körpern einiger Seeanemonen befinden sich lange aufgerollte Fäden. Diese tragen klebrige und nesselnde Kapseln und werden auf Berührungsreize hin wie Lassos nach außen geschleudert, um Nahrungstiere zu fangen oder Feinde abzuwehren.

In der Höhe der Linie Bergen - Island endet die Nordsee. Es beginnt das Europäische Nordmeer. Das Nordmeer reicht hinauf bis zum Arktischen Ozean. Die an Europa grenzende Hälfte des Nordmeeres heißt Norwegische See und da ich auch in diesem Teil des Atlantiks tauchen möchte, verlasse ich bald wieder Bergen und reise weiter. Mein nächstes Ziel ist der etwa 170 km nördlicher gelegene Nordfjord. Ich benutze die Europastraße und überquere auf einer Fähre den Sognefjord. Immer wieder stoppe ich das Fahrzeug, um ein Panorama zu bewundern, einen Wasserfall oder eine Landschaft zu fotografieren.     nach unten  nach oben

 

Jostedalsbreen

Meine Route führt am Fuße des Jostedalsbreen entlang. Der Jostedalsbreen ist der größte Gletscher Europas. Gletscher sind aus körnigen Eismassen bestehende Ströme. Sie wälzen sich bis zu ihrer Schmelze mit einer Geschwindigkeit von einigen Dezimetern bis zu vier Meter am Tag langsam hinab in die Täler. Der Jostedalsbreen ist ein Plateaugletscher oder Hochlandeistyp. Die bis zu 500 m dicke Eismasse lagert bei diesem Typ auf einer hochgelegenen Fläche, über deren Ränder der Gletscher in einzelnen Zungen talab gleitet. Der Jostedalsbreen ist 800 km² groß und stammt noch aus dem Pleistozän, dem Eiszeitalter. Es endet vor ungefähr tausend Jahren. Eine der Gletscherzungen des Jostedalsbreen strömt hinab in das an den Nordfjord führende Briksdal. Dieses Tal ist in einer halbstündigen Autofahrt rasch durchquert; und um den Ort zu erreichen, an dem sich die Gletscherzunge schließlich in Wasser auflöst, bedarf es nur eines ebenso langen Fußmarsches.

 

Maløy und Vemmålsvik

Am Ausgang des Nordfjords, nur wenige km vom Atlantik entfernt, liegt Maløy, ein kleines Städtchen mit einem wichtigen Fischereihafen. Peter, ein zeitweilig mitreisender Sporttaucher aus Kiel, besitzt Freunde in der Nähe Maløys, eine Bauernfamilie; und er kennt in dieser Gegend einige schöne auch ohne Boot erreichbare Tauchplätze - und weiß, dass sich in Maløy ein Taucherservice befindet, der Druckluftflaschen füllt und Bootstouren unternimmt. Überdies können wir auf dem Hof campieren, haben so auch fließend Wasser und einen Elektroanschluss zum Laden der Blitzlichtgeräte. Das passt ja vortrefflich. 

Wir umrunden das Ende des Nordfjords, durchqueren die Hochfläche mit dem Hornidalsvatn, mit 514 m Tiefe einer der tiefsten und klarsten Seen Europas, kurven entlang kühner Serpentinen und durch zahllose Tunnel wieder hinab zu den Ufern des Nordfjords, bleiben jetzt immer in Sichtweite seines grün schimmernden Wassers und erreichen schließlich nach einer Fahrt von insgesamt 530 km ab Bergen auf einer idyllischen, wenn auch manchmal beängstigend engen und kurvenreichen Straße Vemmålsvik, eine nur aus wenigen Häusern bestehende Ortschaft in der Nähe Maløys.

In Vemmålsvik lebt Olav mit seiner Frau Klara und seiner Schwester Gerda. Der Hof besteht aus je zwei Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, einigen Schuppen, Wiesen, Wald und einer Bucht am Nordfjord mit einem Bootshaus. Landwirtschaft in Norwegen bedeutet vor allem Viehzucht und Futtermittelproduktion. Zwei Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen sind Weiden. Bedingt durch den Arbeitskräftemangel ist die Landwirtschaft weit gehend mechanisiert. Olav hat nur sieben Milchkühe, zwei Jungtiere und ein Dutzend Schafe, besitzt aber zu ihrer Unterhaltung u.a. eine moderne Melk- und Kühlanlage, zwei Traktoren und mindestens ein halbes Dutzend weitere Landmaschinen. Wir parken auf einem abgemähtem Wiesenstück. Hier also werde ich die nächsten zwei Wochen leben und tauchen.

Die ersten Einstiege starten wir in der zum Hof  gehörenden Bucht. Interessiert betrachten die Schafe unsere übliche Verkleidung, ich mit einem dicken Tauchanzug und darunter noch zwei Pullover. Ich buckele mein rotes Ungeheuer, die 13 kg schwere Unterwasserkamera. Wir waten in die See. Mein erster Eindruck ist vergnüglicher Art: Das Wasser ist etwas wärmer als vor Farsund, eine Auswirkung des nahen Golfstromes. Wir gleiten über Pflanzendickichte in eine 10 m tiefe Region.

Halt! Was ist das? Tangfetzen haben doch keine Augen? Wir sind noch keine 5 min im Wasser, als ich per Zufall einen der stets gut getarnten Seeteufel entdecke. Ich habe einen solchen Fisch zum ersten Mal vor der Kamera. Der Seeteufel sieht mit seinen vielen Fransen, Hautfetzen, Flossenlappen und dem unverschämt breiten Maul recht gefährlich aus. Der Kopf nimmt mehr als die Hälfte der Körperlänge ein und mit einer Länge bis zu zwei Meter ist er auch nicht gerade einer der kleinsten Fische. Dennoch: der Seeteufel ist ein harmloser Geselle. Der Mensch dagegen ist gefährlicher. Er stufte den Fisch als schmackhaft ein und was schmeckt, hat sein Recht auf Leben verwirkt: Es muss gefangen und gefressen werden! Allerdings: Wer verzehrt schon gerne Teufel? Deshalb heißt der Fisch im Handel Forellenstör und der ein wenig grauslich aussehende Kopf gelangt gar nicht erst in die Markthalle. Der abgeplattete Körper verrät den Grund als bevorzugten Lebensraum. Hier betrachtet der Seeteufel in aller Seelenruhe die Annäherung von Beutetieren. Manchmal lockt er diese mit einer Angel in die Nähe seines Mauls. Die Angel ist der bewegliche und weit nach vorn gerückte erste Rückenflossenstrahl, an dessen Ende ein Scheinköder sitzt. Ist die Mahlzeit nahe genug, so wird das gewaltige Maul aufgerissen und die Beute eingeschlürft.

Am Grund lebende Tiere sind oft meisterhaft getarnt, wie beispielsweise Plattfische oder eben jene Seeteufel. Manchmal muss ich sie erst aufscheuchen, um erkennbare Konterfeis zu erhalten. Die gute Tarnung erklärt, warum sich Unterwasserfotografen den Grundfischen meist relativ leicht nähern können. Die Fische bauen darauf, nicht gesehen zu werden; Bewegungen aber verrieten ja nur ihren Standort. Der grimmig dreinschauende Seewolf verlässt sich dagegen auf die gewaltige Kraft seiner Kiefer und Fangzähne. Er wird bis zu 1,2 m lang und frisst allerlei hartschalige Tiere wie Muscheln und Krebse. Mühelos knackt er die harten Panzer und einen Fischerstiefel aus Leder zu durchbeißen, ist für ihn kein großes Problem. Nicht umsonst heißt der Seewolf Seewolf, doch der Fischhandel hat auch einen hausfrauenfreundlichen Namen parat: Katfisch.     nach unten  nach oben

 

Biskeyfjellnaise

Die Felswände von Biskeyfjellnaise, besonders ein mit meterhohen Steinblöcken übersätes Feld in 30 oder 35 m Tiefe und verschiedene Teile der an Olavs Grundstück grenzenden Bucht werden unsere liebsten Tauchreviere. Die Bucht wird besonders bei kaltem, nassen Wetter bevorzugt, also recht oft. Wir ziehen uns dann in der Garage um und wanken bereits fertig ausgerüstet zum Wasser hinab. Unsere meist sonnigen Fotos täuschen. Es fällt einem nur leichter, ohne Regenschirm mit den Apparaten zu hantieren. Während meines gesamten Norwegenaufenthaltes kann ich nur dreimal tagsüber lediglich mit einer Badehose bekleidet herumlaufen. Ansonsten dominieren Pullover, Anorak und Taucheranzug. Übrigens: In einem anderen Jahr herrschte eine Bullenhitze. Es fiel kaum Regen. Die Hauptbekleidung war das T-Shirt. Das Wetter wird eben auch immer wendischer . . .

Atemberaubend sind Tauchgänge an den Steilwänden. Unweit des Bauernhofes befindet sich eine Einstiegsstelle, an der es sich zum Meer hinabbalancieren lässt. Wir schlittern über schwappende Laminarien ins Wasser. Eine letzte Gerätekontrolle. Wir sinken in die bodenlos erscheinende Tiefe. 5 m - 10 m - 20 m. Jäh endet die Schicht wärmeren, aber auch trüberen Oberflächenwassers und die Sicht weitet sich. Peter grummelt dumpfe Laute in den Atemregler. Dem Herren ist es vermutlich etwas kühl in seinem Nassanzug. 25 m. Eine Terrasse von etwa 3 m Breite gewährt einen ersten Ruhepunkt. Die Lichtreflexionen des sandigen Bodens erhellen wieder ein wenig mehr die graugrüne Szenerie. Wir verharren kurz. In einem Winkel liegt eine alte Krabbenreuse, daneben in dem Sand angepasster Tönung ein Seeteufel. Ein Foto. Weiter. 30 m. Nur wenige niedere Pflanzen und einige Tierarten siedeln auf den Felswänden. Algen, Röhrenwürmer, ab und zu ein Seestern und, seltener noch, ein Haarstern. 35 m. Eine neue Terrasse. Wir stoppen abermals und starren über die Terrassenkante. Wir können mindestens 20 m in den sich in schwärzlicher Finsternis verlierenden Abgrund hinabsehen. Ein stampfendes Dröhnen setzt ein, wird lauter, überlaut. Wir schauen einander in die leichengrünen Gesichter. Das Licht, ein Effekt der eigentümlichen Farbe des Tageslichtes. Nun scheint das Dröhnen über uns zu sein. Es sind die Motorengeräusche eines Frachtschiffes. Das passt ja ausgezeichnet in die gespenstische Kulisse. Ein Anlass zur Sorge besteht indes nicht. Das Schiff ist sicher mehr als einen Kilometer entfernt. Wasser ist bekanntlich ein sehr guter Schallleiter.

Ich bekämpfe Angst und angesichts des Abgrundes aufkommenden Schwindel. Solange sich ein Taucher in der Tiefe nicht zu wohl fühlt, ist alles in Ordnung, sind die Sinne zur Abwehr möglicher Gefahren geschärft. Erst der ab 40 m einsetzende Tiefenrausch begänne sämtliche Bedenken in sorglose Euphorie und lebensgefährlichen Leichtsinn aufzulösen. Weiter hinab. 40 m. Wir haben die übliche Grenze sportlichen Tauchens erreicht. Jenseits dieser Tiefe lauern eine Reihe von Problemen und Gefahren, die es nur unter besonderen Bedingungen einzugehen lohnt; und ein eventuell notwendiges sofortiges Auftauchen wäre ohne gesundheitliche Schäden dann kaum noch möglich.

Es ist immer noch so hell, dass man bequem Zeitung lesen könnte. Die Sichtweite beträgt etwa 10 m. Zu sehen gibt es indes nichts außer nackten Felswänden und einem gruseligen Abgrund. Aber da ist doch etwas! Schon ist der Vorsatz zur Umkehr vergessen.  42 m - 44 m - 46 m. Auf einem Vorsprung sitzt eine Wunderschöne Seeanemone von knapper Fußballgröße. Ich knipse rasch einige Bilder und steige wieder empor. Peter droht mit der Hand. Ich gebe ihm Recht. Wir beginnen mit dem Aufstieg.

Die häufigsten Grundfische am Nordfjord sind natürlich Plattfische, also Schollen und Flundern, Stein- und Glattbutte. Zu guter Letzt kann Peter den vielen so lecker am Grund herumliegenden Appellen an die schlummernden Urinstinkte nicht widerstehen. Er nimmt eine Stoßharpune mit und spießt zwei kuchenblechgroße Schollen. In Norwegen eine ganz legale Fangmethode. An diesem Abend gibt es, klar, eben frische Schollen. Peters Abschiedsessen. Er muss zurück nach Kiel. Vor mir aber liegt noch eine Woche tauchen und fotografieren. Ich klopfe mir behaglich auf die Wölbung über der Scholle. Wir brechen einer Flasche Rotwein den Hals.

Während der folgenden Tauchgänge: Leichter als Fische abzulichten, sind Porträts von allerlei wirbellosen Tieren wie einer zierlichen Asselspinne mit etwa 2,5 cm langen Beinen, von Muscheln und Schnecken und einem Wurm im schicken Streifenlook. Die aus einer 10 cm langen Wohnröhre ragende Tentakelkrone eines Röhrenwurmes zu fotografieren, erfordert schon mehr Behutsamkeit. Mit diesen Tentakeln fischt der Wurm winzige Nahrungsteilchen aus dem Wasser. Bei der geringsten Erschütterung oder einem zu heftigen Atemluftschwall schnellt er zurück in die Röhre. In dieselbige sieht dann ja auch der Fotograf.     nach unten  nach oben

 

Fjorde

Sofern es das Wetter erlaubt, bleibe ich nach dem Tauchen noch eine Weile am Wasser, betrachte sinnend das blaugrüne Panorama oder lasse, wie Tucholsky so hübsch formulierte, die Seele baumeln. Möwen schreien. Große Frachtschiffe tuckern vorbei. Es riecht nach Salz und Tang. Doch irgend etwas fehlt, stimmt nicht überein mit dem vertrauten Bild vom Meer. Plötzlich weiß ich es: Es fehlen die Geräusche von Brandungswellen. Die Fjorde sind zwar tief, manche an die tausend Meter, doch relativ schmal und durch oft mehrere hundert Meter hohe Berghänge gut windgeschützt. Die unzähligen Buchten, Landzungen und Inselchen schirmen sie gegenüber dem offenen Meer zu sehr ab, als dass sich hier grober Seegang lange halten könnte. Kurz: Die Fjorde haben, den Tauchern sehr zu Freude, meist ruhiges Wasser.

Aber kalt sind sie, viel kälter als die vom Golfstrom erwärmten Küstengewässer. Das liegt an den unzähligen einmündenden Bächen und Fällen eisigen Schmelzwassers. Noch Ende Juni beträgt im Nordfjord die Oberflächentemperatur 8 bis 10 °C. Sie sinkt dann in 20 m Tiefe auf 6 bis 4 °C ab. Temperaturen von wenigen Graden über Null sind somit Taucheralltag. Unterhalb 20 m endet der Laminarienwald, aber auch die in den meisten Seegebieten vorkommende Trübung durch allerlei Schwebeteilchen. Die Sichtweite vergrößert sich schlagartig von etwa 10 auf 20 bis 30 m. Zwei Drittel all meiner Tauchgänge führen mich in Tiefen zwischen 15 und 45 m. Die Tiefe reduziert die mögliche Tauchzeit auf durchschnittlich knapp 40 min. Dann ist gewöhnlich das Zeitlimit aufgebraucht, die Luft alle, der Film voll und jener Grad der Auskühlung erreicht, dass die rasche Rückkehr zur Oberfläche ohnehin zum sehnlichsten Wunsch avanciert; außer vielleicht, dass die eingestellten Belichtungswerte auch die richtigen gewesen sein mögen . . .

Freunde hatten mich gewarnt: Wenn du nicht aufpasst, hast du zu Hause nur Fosse und Stabkirchen auf den Filmen. Foss ist der norwegische Name für Wasserfall. In der Tat: Es ist schwer, sich der Faszination der unzähligen Flüsse, Stromschnellen und Wasserfälle zu entziehen. Lediglich die Erfahrung, dass der Fotoapparat die eindrucksvollen Schauspiele aus Bewegung und Geräusch meist zu bloßen weißlichen Rinnsalen degradiert, rettete etwas von meinem Filmvorrat. Doch immer noch oft genug quietschen die Bremsen: keine Bremsprobe oder ein Elch auf der Straße, der den Kampf gegen die alltägliche Mückenplage satt hat, sondern ein Stopp zu dem wirklich allerletzten Foto von Wasserläufen am Wegesrand . . .     nach unten  nach oben

 

Stachelhäuter

In den Gewässern um Norwegen leben ungefähr 100 Stachelhäuterarten. Ich bekomme jedoch nur etwa anderthalb bis zwei Dutzend Vertreter zu Gesicht und vor die Kamera. „En passant“, wie es im Schachspiel heißt, hier also im Vorüberschwimmen, fotografiere ich eine schöne rote Seewalze von etwa 25 cm Länge, den Federstern Antedon bifida - er hat rund 15 cm lange Arme -, kleine Schlangensterne mit einem Durchmesser von wenigen Zentimetern und große Essbare Seeigel mit Ausmaßen ähnlich den in der Leichtathletik eingesetzten Stoßkugeln. Gegessen werden diese Tiere heute allerdings kaum noch. Hamburger und Hot Dogs sind bequemer und enthalten genauso gut die tägliche Ration unerwünschter Schadstoffe. Die Essbaren Seeigel klettern gerne auf Laminarien herum, um hier angesiedelte Algen abzuweiden. Ich finde sie aber  auch auf Vorsprüngen und an fast senkrechten Felswänden.

Fast die gleichen Lebensräume besiedeln einige der auffälligsten und am häufigsten zu sehenden Vertreter der Stachelhäuter, nämlich Seesterne. Ich kann hier acht verschiedene Arten beobachten und fotografieren. Die nordostatlantischen Seesterne zeichnen sich durch überwiegend prächtige Färbungen aus. Einige der Seesternarten haben sich über weite Teile des Atlantiks und seiner Nebenmeere ausgebreitet. Der Eisseestern zum Beispiel lebt an allen Meeresküsten Europas - nur nicht in der Ostsee und im Schwarzen Meer, denn diese Meere sind ihm nicht salzig genug. Der Gewöhnliche Seestern jedoch ist auch noch vor Rügen zu finden. Er bleibt dort aber kleiner und farbloser. Die Seesterne weiden - je nach Art - Algen und Kleintiere ab, fressen allerlei totes Getier, aber auch lebende Muscheln, Krebse, Seescheiden und Schnecken. Ein Purpursonnenstern fällt mir durch eine bauchige Erhebung auf. Ich drehe ihn um und - siehe da - aus der Mundöffnung ragt noch der sich windende Arm eines anderen Seesternes. Können die Seesterne ihre Beute nicht in die Mundöffnung stopfen, so behelfen sich manche Arten mit einem anderen Trick: Sie stülpen den Magen nach außen!

Der Gewöhnliche Seestern beispielsweise klettert über eine Miesmuschel oder wendet sich diese so zurecht, bis der Schalenrand unter der Mundöffnung liegt, zieht mit den Armen die Schalenhälften auseinander (ein winziger Spalt genügt), schiebt seine Magenausstülpung in die Muschel, beginnt sie mit Magensäften aufzulösen und verleibt sich dann die Muschelsoße ein.

Der bis zu 80 cm große Eisseestern ist der größte und gefräßigste Stachelhäuter Europas und er ist wohl der einzige, der den Essbaren Seeigel auch wirklich isst. Der Eisseestern tastet sich mit seinen Saugfüßchen durch die Stacheln, ätzt mit Magensekreten ein Loch in die wenig geschützte Mundöffnung und lässt dann seine Magenausstülpung folgen. Es gibt halt kein Leben ohne Bedrohung. Leben war schon immer auch ein wenig lebensgefährlich.     nach unten  nach oben

 

Krebse

Am Nordfjord gelingen mir schließlich auch einige brauchbare Fotos verschiedener Dekapoden, also Zehnfußkrebse. Norwegische Biologen ermittelten 83 vor ihren Küsten lebende Arten, angefangen von nur wenige Zentimeter langen Garnelen, über Einsiedlerkrebsen, untertassengroßen Seespinnen bis hin zu Steinkrabben mit Spannweiten von einem halben Meter. Überhaupt: In der nordostatlantischen Unterwasserwelt erscheint mir vieles riesig: die verschiedenen Tange, Seeigel, Seesterne, Seeanemonen und eben auch die zehnfüßigen Krebse. Manche lugen nur verstohlen aus Spalten heraus. Bei meiner Annäherung ziehen sie sich noch tiefer zurück und sind so kaum zu fotografieren. Andere verharren wie erschrocken und noch andere stelzen selbstbewusst und im Vertrauen auf ihre Kraft und Panzerung über die Felsen und stellen sich ungerührt dem Blitzlicht des Fotografen. Krabben besitzen - beispielsweise gegenüber den Langusten, Hummern und Flusskrebsen - einen verkürzten Körper.

Krabben bilden die formenreichste Gruppe zehnfüßiger Krebse; und die meisten Krebse, die ich sehe, gehören zu den Krabben. Doch entweder sind die Krabben zu behände, zu flinke Tiere oder sie leben im Verborgenen. Die gelassenen und durch ihre leuchtend rote Färbung auch sehr fotogenen Steinkrabben bereiten mir in dieser Hinsicht weniger Mühe. Ihr dicker, dorniger und stark verkalkter Panzer schützt sie gut vor Feinden. Deshalb sind sie auch weniger scheu als andere zehnfüßige Krebse. Aber damit des Fotografenfreude nicht zu ungezügelt überschäume, wirft mir Herr Poseidon einen anderen Laminarienstengel zwischen die Flossen: die sogenannte Tücke des Objekts! Entweder ist meine Kamera auf zu kleine Abbildungsmaßstäbe eingerichtet, wenn ich eine Steinkrabbe sehe oder ich sehe keine; oder der Film ist voll, wenn ich eine sehe. Mit dererlei Hader vergehen die Tauchtage und erst fast am Ende bekomme ich die Chance zu einigen Aufnahmen.

Falls man sich Bilder von Steinkrabben aufmerksam ansieht, müsste sich Zweifel regen. Zehnfüßige Krebse? Links vier Beine, rechts vier Beine? Irgendetwas stimmt da doch nicht! In der Tat: Die Steinkrabben gehören nicht zu den echten Krabben. Das fünfte Beinpaar ist ganz kurz. Es liegt in der Kiemenhöhle verborgen und fungiert hier als Reinigungsbürste. Das Beinpaar ist also vorhanden, der Krebs zehnfüßig und die Systematik gerettet.     nach unten  nach oben

 

Abschied

In der ersten Juliwoche wird es Zeit, an die Rückreise zu denken. Ich ziehe Bilanz und addiere die Eintragungen in meinem Taucherlogbuch: 29 Tauchgänge mit einer Tauchzeit von insgesamt 18 Std. und 38 min. Ich hatte also zwei volle Arbeitstage Zeit, mich in der nordostatlantischen Unterwasserwelt umzuschauen, mit den Unwägbarkeiten der Kameras und Motive zu kämpfen, einige Bilder und Eindrücke zu sammeln - und auch die Gelegenheit, etwas für mein späteres Rheuma vorzusorgen.

Ich kontrolliere den Zustand der Bremsanlage, gebe nicht mehr benötigte Lebensmittelüberschüsse von Bord und bedanke mich auch hier auf das Herzlichste. Noch zwickt nicht das Ach und Weh des Abschieds, denn die Rücktour führt durch einige der schönsten Landstriche Norwegens.

Aus Sorge, etwas Unwiederholbares zu versäumen, auch am Ende noch ein Abstecher, um Natur zu bestaunen: den Geirangerfjord. Er gilt als einer der schönsten Fjorde Norwegens und natürlich stoppe ich auch an jenem Aussichtspunkt über der Schlucht Flydalsjuvet, von der aus das meistbekannte Bild norwegischer Landschaften abzulichten ist: das Geiranger-Motiv. Ich lichte also ab. Auf einige Fotos mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht mehr an.

Mitte Juli, also sechs Wochen nach meiner Ankunft und nach einer Gesamtfahrstrecke von 2500 Kilometer, drängle ich mich an einem Kai von Oslo wieder in die Schlange wartender Passagiere. Punkt 13.30 Uhr legt das norwegische Fährschiff ab.

Ich denke noch lange, ich denke immer noch an das stille grünliche Wasser der Fjorde mit ihren Spiegelbildern von Berghängen und Gebäuden, die alle Landschaftseindrücke zu verdoppeln scheinen. Ich denke an all die freundlichen Menschen, die ich traf, denke an die zwar kalte, aber interessante UW-Welt und erinnere mich gern an das weiche rötliche Licht nicht enden wollender Abende über den unzähligen nahen und fernen Inseln.

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