Tauchen
im Eismeer -
Überwinterung in einer russischen
Antarktisstation (Mein Leben ist nur
Hobby!, Band II)
2.
verbesserte Auflage 2022, 196 Seiten DIN A4 mit
über 200 Farbfotos, 1 Zeichnung, 1
Karte. Softcover mit
farbigem Einband.
ISBN 978-3-937522-36-4, gebundener Ladenpreis
€ 24,80 |
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Der
promovierte Biologe Dr. Martin Rauschert gehört mit zu den ersten
und aktivsten Sporttauchern in der DDR. Seine Interessen an
Biologie, Fotografie und Tauchen verschmelzen schließlich zu einem
Beruf mit vielerlei Facetten. Im Dezember 1980 steigt Martin
Rauschert mit zwei Kollegen in den Flieger nach Leningrad, um das
Polarforschungschiff „Zubov“ zu erreichen, das bald in Richtung des
Südpolargebietes in See sticht. Ziel: Bellingshausen. Hier in der
russischen Antarktisstation wird Rauschert, neben biologischen
Forschungen, auch für Taucherarbeiten und Bilddokumentationen
zuständig sein. Und erst im April 1982 sehen ihn Frau und Kind
wieder! Dazwischen liegen harte Monate des Lebens in der relativ
abgeschlossenen Welt der russischen Antarktisstation. Martin
Rauschert berichtet über Alltagsprobleme wie auch über
abenteuerliche Tauchgänge, über Begegnungen mit der beeindruckenden
antarktischen Tierwelt, von atemberaubenden Landschaftsbildern, von
Exkursionen über Eis und Schnee wie auch von Stürmen, schlechtem
Essen und allgegenwärtigem Suff. Emotionale Konflikte sind fast
genauso alltäglich wie technische Havarien. Die eisigen Regionen
erfordern eben ihren Tribut von Menschen und Material. Aber sie
scheinen auch Belohnungen bereitzuhalten. Denn kaum von der Reise
zurück, bewirbt sich Martin Rauschert für eine neue
Antarktisüberwinterung …
Die Kapitel
Inhaltsverzeichnis - Wie alles begann - Das erste Vierteljahr 1981 - Das
zweite Vierteljahr (Winterbeginn) 1981 - Das dritte Vierteljahr (Winter)
1981 - Das vierte Vierteljahr (Sommerbeginn) 1981 - Ein neues Jahr und die
Heimreise - Unser „Aktionsgebiet“: Karten und Bilder - Anhang des
Herausgebers: Tauchgeschichtliches aus dem Verlag
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Leseprobe
Donnerstag, 04.06.
Es ist weniger Eis angetrieben, als ich vermutete. In Ufernähe liegen einige
Meter Eisbrei und in der ganzen Bucht driften Treibeisschollen. Der Wind ist
auf 7 m/s abgeflaut und die Temperatur auf minus 7 °C gestiegen. Also auf
zum Tauchen! Um 11 Uhr zog ich zusammen mit Hans als Signalgast los. Es war
eine lausige Eispampe, durch die ich zunächst mühselig watete. Schließlich
tauchte ich in das Drifteis und schwamm gemächlich unter den Eisbrocken im
flachen Wasser umher.
Hans signalisierte mir wiederholt durch 5 kurze Leinenzüge, ich solle
zurückkommen. Ich quälte mich mit dem Kopf durch die Eisbrocken und er wies
mich auf einige Krabbenfresser-Robben hin, die sich in der Ufernähe
umhertrieben. Ich winkte ab, er solle sich keine Sorgen machen und schwamm
weiter hinaus. Immer mehr Leine wickelte sich ab. Zunächst hatte ich mich an
Nahaufnahmen von Amphipoden versucht, dann fand ich zunehmend häufig die
Riesenasseln Glyptonotus. An einem Seeigel saßen 5 bis 6 von ihnen.
Leider konnte ich die Gruppe nicht fotografieren, meinen Einstellknauf hatte
ich verloren. Später fand ich einen Algenstrunk voller Glyptonotus
und Nemertini. Doch wieder nur Nahaufnahmen möglich. In weitem Bogen schwamm
ich unter dem Treibeis in 6 bis 7 m Tiefe über muddigen Grund, sammelte
Amphipoden und Asseln. Geruhsam machte ich mich dann auf den Rückweg.
Die Sicherheitsleine sah ich nicht mehr, spürte auch nichts von ihr und
vermutete, sie hätte sich von mir gelöst. Nach ihr suchend, blickte ich mich
um und bemerkte in der Ferne einen dunklen Schatten. Nanu, war hier ein
weiterer Taucher im Wasser? Nein, die Silhouette einer Robbe konnte ich
schemenhaft erkennen. Man begegnet ihnen nicht so oft und auch jetzt war sie
bald wieder aus meinem Blickfeld verschwunden. Da sie mich leider gewahrte,
würde die Robbe kaum wieder erscheinen. Robben scheuen unter Wasser die Nähe
des Menschen. Etwa 200 m sind es noch bis zum Ufer. Ich trödle über den
Grund nach Hause zurück. Doch dann erblicke ich die Robbe näher. Sie
umkreist mich viel dichter als beim ersten Mal mit eleganten
Schwimmbewegungen, besitzt einen riesigen, glatten dunklen Körper mit großen
Potschelflossen, einen Respekt einflößenden mächtigen Kopf und märchenhaft
große, weit aufgerissene Augen. Ihr herrlich geflecktes Fell fällt mir auf.
Ein riesiger Seeleopard interessiert sich für mich! In zunächst weiten,
doch zunehmend engeren Kreisen umschwimmt er mich. Ich erschrecke
furchtbar!
Aus der Literatur weiß ich, dass bisherige Begegnungen zwischen
Leopardenrobben und Tauchern nicht immer harmlos verlaufen sind. Wie wird
dieses Tier reagieren? Verschiedene Beschreibungen schießen mir durch den
Kopf. Während Shackletons Südpolarexpedition war einer seiner Männer auf dem
Eis von einem Seeleoparden verfolgt worden.
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Ein amerikanischer Pinguinspezialist schilderte den Angriff eines dieser
Meeresraubtiere. Er stand neben einer breiten Spalte auf dem Meereis, als
plötzlich neben ihm eine Leopardenrobbe aus dem Wasser tauchte und nach
seinem Bein schnappte. Mehrere Revolverschüsse vertrieben den Angreifer, der
drei Tage später in Stationsnähe durch eine Gewehrkugel erlegt wurde.
Möglicherweise hatte der Seeleopard in dem Menschen einen überdimensionalen
Pinguin gesehen. Pinguine gehören zu seiner Vorzugsbeute. Unter Wasser ist
es sicherlich seine ganz normale Neugier, die ihn treibt, ein unbekanntes
Lebewesen näher zu betrachten, das in sein Revier eindringt.
In den Sechzigerjahren arbeiteten sowjetische Wissenschaftler in der Nähe
der Station Mirny unter Wasser. Ein Mitglied der Gruppe hatte das besondere
„Glück“, fast regelmäßig bei seinen Einstiegen einem Seeleopard zu
begegnen. Obwohl sich die Robbe keinesfalls aggressiv zeigte, zog es der
Taucher in diesen Fällen vor, das Wasser mit klopfendem Herzen
schnellstens wieder zu verlassen.
Da ist aber auch der Bericht eines Engländers: Er beschrieb mir recht
anschaulich, wie er mit seinem Kameraden unter Wasser arbeitete, als
plötzlich ein Seeleopard erschien, der seinem Tauchkameraden einen so
heftigen Rammstoß gegen den Kopf versetzte, dass der Taucher die Besinnung
verlor und aus dem Wasser transportiert werden musste. Ein anderer Taucher
berichtete von einem Seeleoparden, der sich ihm genähert hatte und
vorsichtig seinen durch den Taucheranzug nur unzulänglich geschützten Arm,
wie zum Abschmecken zwischen die mächtigen Kiefer nahm. Offensichtlich war
die Geschmacksprobe negativ ausgefallen, denn der Taucher konnte uns davon
berichten.
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Ich weiß auch, dass Seeleoparden andere Robben anfallen. Schon Filchner
beschrieb die Funde großer Stücke Robbenfleisches in den Mägen solcher
Meeresraubtiere. Drei Franzosen teilten uns ihre Verwunderung mit, in
einem erlegten Seeleoparden statt der erwarteten Pinguinreste nur riesige
Stücke von Robbenfleisch gefunden zu haben. Ein von uns für parasitologische Untersuchungen zerlegtes, etwa 3,5 m langes Exemplar
zeigte ähnliche, nicht gerade beruhigende Befunde. Und die vom Seeleoparden
erbeuteten Robben sind wesentlich größer als ich ... Inzwischen wurde der
tödliche Unfall einer englischen Schnorchlerin gemeldet, die in Rothera
von einem Seeleoparden attackiert wurde. Doch das geschah erst nach meinem
Abenteuer mit „Leo“!
Immer enger
werden seine Kreise. Fotografieren kann ich ihn nicht. Die Kamera
ist auf nächste Nähe eingestellt. Eins seiner großen Augen bekäme
ich aufs Bild, doch der Film ist ja schon verschossen. Kamera und
Kescher nehme ich in eine Hand, mit der anderen bekomme ich das
Messer unter Mühen aus der Scheide gezogen. Ich gebe das Notsignal:
5 Züge an der Leine! Hans zieht Leine ein. Keine drei Meter entfernt
streckt Leo seinen riesigen Kopf aus dem Wasser und sieht zu mir
herüber. Nur unter dem Treibeis komme ich wieder ans Ufer zurück.
Nun versuche ich, zwischen den Eisschollen wieder nach unten zu
kommen. Es ist zu viel Luft im Anzug. Wild strampeln dabei meine
Beine über dem Eis in der Luft. Da Leo auch abgetaucht ist, vermutet
Hans, er hätte mich schon beim Wickel. Wie mir Hans später erzählt,
kreisten schon Möwen über der Szenerie, deren Schwarm sich ständig
vergrößerte. Sie rochen offensichtlich den Braten! Die Leine hat
sich um meine Beine gewickelt. Ich versuche, sie wieder in eine
vernünftige Lage zu bringen, um nicht mit den Füßen voran durchs
Wasser gezogen zu werden. Der Seeleopard zieht immer engere Kreise.
Inzwischen hat er sich fast auf Tuchfühlung genähert.
Ich stoße mein Messer in Richtung eines Auges. Ich will ihn beileibe
nicht verletzen, möglicherweise einen Angriff provozieren, nein, nur
zeigen, dass ich mich auch wehren kann. Er kneift das Auge vor
meiner Messerspitze zu und zuckt ein Stück zurück, will nicht
getroffen werden. Immer heftiger atme ich. Meine Atemluft geht zur
Neige. Ich öffne die Reserve. Die zunehmend entleerten und damit
leichter werdenden Pressluftflaschen ziehen mich nach oben. Ich habe
keine Hand zum Austarieren frei, kann das Auslassventil nicht
bedienen und dadurch den Anzug nicht entlüften. Nur so würde ich
wieder absinken. Verzweifelt kämpfe ich mit dem Auftrieb. Sowie ich
in Oberflächennähe gerate, nimmt mir das Treibeis jede Sicht, dann
kann ich die schwarze gefleckte Gestalt nicht mehr sehen. Mein Atmen
wird schwieriger. Ich brauche immer mehr und bekomme immer weniger
Luft. Die Reserve versiegt, die Tauchflaschen sind leer. Ich
jongliere meinen Kopf durch die Eisschollen, reiße mir die Maske vom
Gesicht und brülle Hans ein „Rausziehen“ zu. Hans zieht mich im
Schneckentempo zum Ufer.
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Die Funker arbeiten mit unserm Aerologen in der Nähe an den
Antennen. Auch der Stationschef Janes kommt zufällig des Weges. Hans
schreit um Hilfe: „Pomogij!“ Die Russen werden aufmerksam,
unterbrechen ihre Arbeit und kommen langsam angeschlendert. Endlich
begreifen sie, dass mein Kollege es ernst meint, und helfen Hans.
Wie wild ziehen sie mich an der Leine aus dem Wasser. Das heißt, da
die Leine unter dem Treibeis hindurchgeht, werde ich immer wieder
unter Wasser gezogen. Mit leergeatmetem Tauchgerät und ohne Maske
unter dem Eis muss ich versuchen, solange ich es aushalte, ohne
Atmen auszukommen. Dann geht es nicht mehr, mit Mühe kann ich mich
zwischen den Schollen hindurch an die Luft arbeiten und Stopp
brüllen. Ich habe Wasser geschluckt und bin wahrscheinlich nahe an
einem Stimmritzenkrampf, vor dem ich einen heillosen Respekt
besitze. Einmal daran fast erstickt hat mir gereicht! Doch ich
überlege, dass Seewasser in der Lunge vielleicht physiologisch nicht
so sehr gefährlich sein mag und unser Arzt mir vielleicht wieder auf
die Beine helfen kann.
Ich gebe ein Zeichen und tauche unter. Die Zieherei geht weiter.
Immer wieder muss ich Stopp signalisieren, weil ich unter das Eis
gezogen werde. Immer wieder schlucke ich Wasser. Eine Flosse rutscht
mir vom Fuß, und als ich danach greifen will, verliere ich auch
meine über den Arm gehängte Kamera. Ohne Maske sehe ich weder
verlorene Kamera, noch abgerutschte Flosse. Unter mir zieht sicher
Leo irgendwo seine Kreise, die immer enger werden. Ich bemerke davon
nichts - kann es nur vermuten. Das Eis bremst stark, ich komme kaum
vorwärts. Endlich ertaste ich mit meiner verbliebenen Flosse Grund.
Noch ein Stückchen und ich kann stehen. Mich vom Boden abstoßend
unterstütze ich die Zugbewegung, indem ich mich gegen das Eis
schiebe. Dicht neben mir reckt sich ein klosettdeckelgroßer, runder,
schwarzer Kopf aus dem Wasser. Mit seiner weit unter seine Augen
reichenden, geschlossenen aber deutlich sichtbaren Maulspalte
scheint Leo mich anzugrinsen. Noch 15, dann nur noch 10 Meter.
Endlich durchpflüge ich den knietiefen Eismatsch am Ufer.
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Die Kollegen ziehen mich aus dem Wasser. Wollen mich herausziehen.
Ich bin zu schwer! Tauchgerät, Bleigurt, Fußgewichte. Die
Taucherleine hat alles zu einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel
verfitzt. Mich in der Eissuppe wälzend versuche ich, die
Gerätschaften abzulegen. Hans nimmt mir kopfschüttelnd den sogar
noch einigermaßen gefüllten Sammelkescher aus der Hand. Mit einer
Schnur hatte ich ihn am Handgelenk festgebunden und deshalb nicht
verloren. Ich keuche ihm zu, dass nur meine Luft zu Ende und kein
Seeleopard im Spiel war. Er scheint mich sofort zu verstehen; denn
er ahnt, niemals würde uns der Stationschef wieder tauchen lassen,
erführe er den wahren Sachverhalt. Bis auf Hans hatte niemand
mitbekommen, was eigentlich geschehen war. Nur er hatte den
Seeleoparden bemerkt und sich seinen Reim darauf gemacht. Er war
kurz vor dem Verzweifeln und sah Rita schon als Witwe.
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Kurzbiografie
Geboren 1934 in Berlin. Nach dem Abitur Studium von Pädagogik, Biologie und
Binnenfischerei. Promotion. Leitung der „Arbeitsgemeinschaft für
Unterwasserforschung“ bei der „Deutschen Akademie der Wissenschaften zu
Berlin“. 1980-1982 und 1984-1986 Taucherarbeiten während seiner
Überwinterung auf der Antarktisstation Bellingshausen. Danach
wissenschaftlicher Mitarbeiter in der „Forschungsstelle für
Wirbeltierforschung“ der Akademie. Nach der Wende am „Alfred Wegener
Institut für Polar- und Meeresforschung“. Bis Ende 2004 Teilnahme an
zahlreichen biologischen Expeditionen und Arbeit in beiden Polargebieten.
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